Herr Drahn, Sie verantworten bei der DAL die langfristige Finanzierung von Warenbeständen. Zieht ihr Geschäft angesichts aktueller Lieferengpässe und der sich daraus ergebenden Lageraufstockung an?
Drahn: Wir stellen fest, dass viele Unternehmen die Verfügbarkeit von Waren als ganz wichtiges strategisches Ziel neu ausgegeben haben. Dazu gehören nicht nur die Stabilisierung der Lieferketten und eine gegebenenfalls temporäre Ausweitung von Lagerkapazitäten, sondern es steigt ja auch erheblich der Finanzierungsbedarf. Da können wir helfen, indem wir große Vorratsvolumen sicher und langfristig finanzieren. Diesen Bedarf spüren wir sehr deutlich.
Welche Rolle spielt nach ihrer Einschätzung künftig die Lagerhaltung für die Beschaffungsstrategie der Unternehmen?
Drahn: Lagerhaltung hält die Wertschöpfung am Laufen. In den vergangenen Jahren haben wir die Tendenz gesehen, dass diese Lagerhaltung in der Wertschöpfungskette immer mehr nach unten hin ausgegliedert, also an die Lieferanten und Vorlieferanten übertragen wurde. „Just in Time“, „Just in Sequence“ sind da die Schlüsselworte. Das stellen die Unternehmen aber seit einigen Jahren in Frage, seit die globalen Lieferketten durch Corona, Kriege, Sanktionen, Umweltereignisse und Co. immer wieder ins Stocken geraten. So verschärften die Lieferkettenprobleme auch die inflationäre Preisentwicklung der vergangenen Monate. Die Unternehmen müssen die gestiegenen Liefer- und Rohstoffkosten auch finanzieren.
Das klingt danach, als würden die Unternehmen ihre Lager wieder intern verwalten wollen. Gibt es einen solchen Trend?
Drahn: Einen echten langfristigen Trend, wieder eigene Lagerkapazitäten aufzubauen, sehen wir aktuell nicht. Der Gedanke, das eigene Lager nicht aufzublähen und sich „Just in Time“ beliefern zu lassen, ist ja nicht schlecht. Es muss nur sicher und nachhaltig funktionieren. Und das, was früher über Ländergrenzen hinweg gut lief, wird heute vermehrt regional zentralisiert. Die Unternehmen nutzen die vorhandenen Kapazitäten maximal aus, gliedern die Lager mitunter aber auch an Logistiker aus, die sich in Lagerbewirtschaftung besser auskennen als ein produzierendes Unternehmen und auch bei Digitalisierung und Automatisierung weit fortgeschritten sind. Das ist dann weiterhin eine Arbeitsteilung, aber regionaler orientiert.
Bedeutet das, dass die Logistiker die Produktionspuffer vorhalten? Just-in-Time findet dann zwischen dem Logistikunternehmen und dem produzierenden Unternehmen statt?
Drahn: Genau. Innovative Logistiker ändern dafür auch schon ihre Vergütungsstrukturen, weg von pauschalen Sätzen je Palette oder Stellplatz samt undurchsichtigen Zusatzgebühren hin zu Transaktionskosten-Modellen. Das verschafft den verarbeitenden Unternehmen eine Transparenz über die Kosten, die sie dann an ihre Endkunden weiterreichen können. Durch Digitalisierung und Automatisierung lässt sich genau berechnen, was ein Pick und Pack für alle Beteiligten jeweils kostet.
Egal, ob das der Logistiker oder die Firma selbst macht, für die Produktionspuffer muss doch real mehr Lagerraum aufgebaut werden. Wo entsteht der jetzt?
Drahn: An den zentralen Hauptumschlagspunkten, den Hubs, ballen sich in Deutschland und Europa die Standorte. Auf der grünen Wiese bauen hier die großen Logistiker derzeit neue Zentren auf. Damit nutzen sie die eigenen ökonomischen Größenvorteile und bieten ein breites Dienstleistungsspektrum an. Die produzierenden Unternehmen, vor allem Mittelständler, deren Standorte ja in der Regel historisch in der Nähe der Arbeitskräfte sind, haben dagegen meist begrenzte Zubaumöglichkeiten.
Bisher war die Logistik in der Unternehmenskalkulation ein relativ günstiger Faktor. Wenn jetzt die Lagerhaltung bei den Logistikunternehmen teurer und komplexer wird, wird sich auch auf die Verkaufspreise auswirken?
Drahn: Wenn ein Produzent ein eigenes Lager aufbaut, geht das mit einer komplexen Kalkulation für weit mehr als drei bis vier Jahre einher. Er muss sich fragen, ob er langfristig diese Kapazitäten braucht und selbst bewirtschaften will. Ab einer bestimmten Größe macht das ökonomisch mitunter Sinn. Als Alternative kann er diese Leistung aber auch einkaufen und bleibt damit flexibel. Für viele Mittelständler ist es daher sinnvoller, die Hubs der Speditionen zu nutzen und vergleichsweise kostengünstig, transparent und flexibel entsprechende Leistungen abzurufen. Die Kosten für diese Spezialisten im Markt sind dann auch nicht zwingend höher, als wenn eine eigene Logistik und Lagerkapazitäten aufgebaut werden.