Was braucht es, um erfolgreich Innovationen zu entwickeln?
Sven Siering: Am wichtigsten sind zunächst einmal die passenden Rahmenbedingungen, und zwar in Form eines klaren strategischen Vorgehens. Das heißt, man muss am Anfang erst einmal analysieren: Was habe ich heute, wofür stehe ich heute und wo will ich zukünftig hin? Dies sollte dann auch in der Unternehmensstrategie verankert, mit Maßnahmen hinterlegt und wirklich gelebt werden, sonst handelt es sich lediglich um eine Alibiveranstaltung.
Die zweite wichtige Bedingung ist: Die Nutzer müssen in den Mittelpunkt gestellt werden. Es geht nicht darum, die eigenen Probleme zu lösen, sondern die des Kunden. Dafür ist es notwendig, Kunden viel früher in den Entwicklungsprozess einzubinden, sie frühzeitig nach ihren Bedürfnissen zu fragen und mit ihnen gemeinsam auch die Lösungen zu erproben – oder auch wieder zu verwerfen. Denn letztendlich wird vom Nutzer nur das gewollt, was er auch mag.
Gleichzeitig benötigt man flexiblere Modelle, wie z. B. Design-Thinking, um nutzerzentriert wirklich neue Ideen zu generieren. Da braucht es agile Softwareentwicklungen wie Scrum, aber auch ein Businessmodell wie Canvas, mit dem man modelliert, was man daraus tatsächlich als Geschäft generieren kann.
Innovationen waren für Unternehmen schon immer wichtig. Was hat sich durch die Digitalisierung verändert?
Sven Siering: Hatten wir früher noch mehrere Jahre Zeit, um ein Produkt zu entwickeln, bleibt heute wahrscheinlich nicht einmal ein Jahr, um etwas Neues auf den Markt zu bringen.
Der technologische Wandel ist so dramatisch, dass sich vor seinem Hintergrund auch die Erwartungen der Nutzer und Kunden deutlich schneller ändern als zuvor. Genau das stellt uns vor die größten Herausforderungen: Gerade etablierte Unternehmen, die dies nicht unbedingt gewohnt sind, müssen sich heute schneller anpassen und reagieren als je zuvor.
Was macht das vielzitierte „agile Arbeiten“, insbesondere Scrum, genau aus?
Sven Siering: Agiles Arbeiten steht als Synonym für agiles Projektmanagement. Und agiles Projektmanagement ist eine Vorgehensweise, bei der man eher iterativ und in kurzen Zyklen denkt. Der Fokus liegt auf dem Ergebnis, der Auftraggeber ist von Anfang an involviert und nicht von der Umsetzung getrennt.
Scrum wiederum ist ein Vorgehensmodell der agilen Softwareentwicklung. Bei Scrum konzentriert man sich in der Entwicklung nur auf das Notwendigste, mit dem man dann auf den Markt geht. Genauso gehen viele Start-ups vor: Sie bauen nicht gleich die fertige Lösung, sondern konzentrieren sich auf einzelne Produkteigenschaften, von denen sie glauben, dass sie der Kunde am meisten braucht. Diese realisieren und erproben sie dann in kürzester Zeit und stellen so schnell fest, ob ihre Annahmen richtig waren oder nicht. Wenn nicht, lassen sie sich auch zeitnah wieder anpassen. Und in zwei Wochen hat man das nächste Ergebnis. Diese extreme Schnelligkeit ist ein wesentlicher Vorteil von Scrum. Das bietet keine andere Methode.
Für wen ist Scrum geeignet? Was ist für Sie erfolgskritisch?
Sven Siering: Scrum eignet sich insbesondere für große und mittelgroße komplexe Projekte, für kleinere ist es eher ungeeignet. Hier hat man meist ein relativ klares Setup, da kommt man in einem Wasserfallmodell – kurze Konzeption und dann Entwicklung – viel schneller zum Ziel. Gerade wir als große etablierte Unternehmen müssen ein wenig davon wegkommen, immer gleich in Riesenlösungen zu denken. Wir wissen ja oft gar nicht, ob es genau das ist, was der Kunde will, oder ob nicht schon zwei Schritte vorher völlig ausreichen würden.
Für den Erfolg der Scrum-Methode jedenfalls ist die Zusammensetzung des Teams ganz essenziell. Verschiedenste Experten, Softwareentwickler, Designer etc. müssen im Zusammenspiel gut harmonieren und zusammenarbeiten, um dann auch bestmögliche Ergebnisse zu erzielen.
Brauchen Innovationen nicht auch ihren eigenen Raum?
Was bieten „Innovation Labs“? Machen sie auch für kleinere Unternehmen Sinn?
Sven Siering: Grundsätzlich brauchen Innovationen Freiräume, denn Innovationen sind Veränderungen und Veränderungen funktionieren nur, wenn man sie auch zulässt. Entsprechend eignen sich Innovationslabs vor allem für große Unternehmen mit extremen Strukturen und Prozessen. Dort schaffen sie die notwendigen Freiräume, Dinge einfach mal auszuprobieren und sich für Neues zu öffnen. Das alles abseits des Tagesgeschäfts, denn dort muss es auch stattfinden, damit es nicht wieder eingefangen oder "klein“ gemacht wird.
Mit so einem Innovation Lab sind aber natürlich Betriebskosten verbunden, für die man in großen Unternehmen eher Ressourcen und Mittel findet. Je kleiner ein Unternehmen ist und je weniger Strukturen es hat, umso ungeeigneter sind Innovation Labs, da hier naturgemäß eine größere Kundennähe besteht.
Bildnachweise:
Bühnenbild: © iStock / Jacob Ammentorp Lund
Video 1: "Sven Siering, Leiter DIU der Deutschen Leasing": © Deutsche Leasing
Bild 2: © BMI Lab AG, St. Gallen
Bild 3: "Kai Ostermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Leasing": © Deutsche Leasing